Am 15. Mai 2022, dem Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung melden sich Kriegsdienstverweigerer aus den Kriegführenden Staaten Russland und Ukraine zu Wort.
Erklärung der Bewegung der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen (Russland) für den
Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung (15. Mai)
Liebe Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen, heute begehen wir unseren Tag der
Kriegsdienstverweigerer, während Krieg geführt wird.
Mit dem Beginn des Krieges mit der Ukraine ist der Gedanke der Wehrdienstverweigerung in
Russland besonders aktuell geworden. Vor dem Krieg brachten die meisten Wehrpflichtigen und ihre
Angehörigen den Militärdienst als Wehrpflichtige nicht mit tatsächlicher Kriegsführung in
Verbindung. Die Einberufung erschien als eine Art Sportlager mit Elementen militärischer Ausbildung.
Unabhängig von ihrer politischen Einstellung zwingt das gesunde Gefühl der Angst vor der Teilnahme
an einem Krieg auf dem Gebiet eines fremden Landes die Menschen dazu, Anträge auf einen zivilen
Ersatzdienst zu stellen und ihr Recht, nicht in der Armee zu dienen, auf andere Weise zu schützen.
Für einige Kriegsdienstverweigerer ist die Möglichkeit, in ihrem Antrag anzugeben, dass sie den Krieg
Russlands in der Ukraine ablehnen, wichtig. Das ist eine legale Form, seine Ablehnung direkt
gegenüber den Vertretern der staatlichen Behörden zum Ausdruck zu bringen – eine Angelegenheit
von moralischer Bedeutung.
In den bisherigen Kriegsmonaten haben wir ein völlig neues Phänomen beobachtet: Fälle, in denen
Berufssoldaten sich weigern, an der Sonderoperation teilzunehmen[*] und die Beendigung ihrer
Verträge fordern. Wir möchten jenen Soldaten und Polizisten unseren besonderen Dank
aussprechen, die den Mut hatten, sich zu weigern, in einem fremden Land zu töten und zu sterben,
die sich weigerten, an der Sonderoperation teilzunehmen.
Heute, wo viele Menschen die Einführung einer teilweisen oder vollständigen Mobilisierung in
Russland befürchten, bietet ihnen gerade das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus
Gewissensgründen Unterstützung.
Die Bewegung der Kriegsdienstverweigerer in Russland drückt ihre Solidarität mit allen Kriegsgegnern
aus, mit allen, die sich gegen den Akt der Aggression stellen. Wir wünschen und beten mit aller Kraft,
dass die Ukraine den Angriff überlebt und ihre Unabhängigkeit bewahrt.
[* Die „Sonderoperation“ ist der laufende Angriff Russlands auf die Ukraine; formal handelt es sich
nicht um einen Krieg, sondern um eine „Sonderoperation“, die in Russland in offiziellen
Verlautbarungen als solche bezeichnet wird.]
ERKLÄRUNG DER UKRAINISCHEN PAZIFISTISCHEN BEWEGUNG
Die Ukraine begeht den Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerer am 15. Mai 2022 in einer
schwierigen Zeit der Eskalation des russisch-ukrainischen Konflikts aufgrund der brutalen und
illegalen russischen Invasion, an einem Zeitpunkt, in dem der Wunsch, den Krieg aus Macht- und
Profitgründen unbegrenzt fortzusetzen, die Menschen zu Geiseln der Todesmaschinerie macht.
Wir rufen alle Kriegsparteien und diejenigen, die sie militärisch unterstützen, auf, alle Anstrengungen
zu unternehmen, um eine Vereinbarung über einen sofortigen Waffenstillstand und die Beilegung
des Konflikts mit friedlichen Mitteln im Einklang mit der UN-Charta zu erreichen.
Wir fordern vom Staat volle und belastbare Garantien für das Menschenrecht auf
Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen und das Recht, das Land zu verlassen und im
Ausland Asyl zu suchen, in Übereinstimmung mit internationalen und nationalen Standards der
Menschenrechte und des humanitären Rechts, die unter anderem im Internationalen Pakt über
bürgerliche und politische Rechte, in der Verfassung und in den Gesetzen der Ukraine verankert sind.
Menschenrechtsverletzungen während der militärischen Mobilmachung sollten nicht zugelassen
werden.
Gemeinsam mit der War Resisters‘ International bekunden wir unsere Solidarität mit den russischen
und belarussischen Kriegsdienstverweigerern und fordern die sofortige Einstellung aller
Repressionen gegen sie.
Kriege werden enden, wenn alle Menschen sich weigern, sich gegenseitig zu töten. Dieses Recht
steht uns gesetzlich zu und ist zudem unsere moralische Pflicht. Lasst uns gemeinsam den Krieg
beenden!