„Der falsche Krieg“ Eine Kolumne von Bettina Gaus im Spiegel, 12.8.21
Die Diskussion um den Afghanistan-Kriegseinsatz und sein Ende geht weiter. Hier zwei Einschätzungen aus der Wochenzeitung Freitag vom 26.8.21:
Lutz Herden, „Mut zur Demut“
Velten Schäfer, „Soll die Bundeswehr es wieder tun?“
Wer sind die Taliban, wie werden sie im Land selbst gesehen? Dazu der Afghanistan-Experte Conrad Schetter vom BICC auf Merkur.de: „Was die Taliban als Scharia ausrufen, wissen wir nicht“ – Experte hat überraschende Prognose für Afghanistan
In vielen Medien bekommt man nun den Eindruck, aus dem Afghanistan-Desaster müsse man den Schluss ziehen, noch weiter aufzurüsten oder gar eine EU-Armee schaffen. Die Europa-Abgeordnete der LINKEN und Mitglied der DFG-VK, Özlem Demirel, hält im DLF-Interview dagegen:
Angesichts der dramatischen Szenen, die sich am Kabuler Flughafen abspielen, wünschen sich manche, dass hier eine ordnende Hand eingreift, um die bedrohten Menschen zu retten. Doch dieser Wunsch geht an der Realität vorbei. Ein militärischer Eingriff würde eine erneute Eskalation bedeuten, im schlimmsten Fall eine Rückkehr zu dem 20-jährigen Krieg. In dieser Situation ist es bedenklich, dass die Bundesregierung nun ein neues Mandat für die Bundeswehr im Bundestag zur Abtimmung stellen will. Damit soll vom eigenen Versagen abgelenkt werden und die Verantwortung auf die Schultern der Soldatinnen und Soldaten abgeladen werden. Wir haben in einem Brief an die Bundestagsabgeordneten diese zur Ablehung des Antrags aufgefordert. Hier das Schreiben …..
Es ist ein Trauerspiel. Seit Beginn des Afghanistankrieges haben Kritiker aus der Friedensbewegung, den Hilfsorganisationen und aus wenigen oppositionellen Parteien darauf hingewiesen, dass der Kriegseinsatz in Afghanistan zum Scheitern verurteilt war. Sie haben bitter recht behalten.
Nach 20 Jahren Krieg, hundertausenden Toten und großen Zerstörungen steht das Land wieder da, wo es 2001 stand: Die radikalislamische Talibanbewegung beherrscht das Land. Schon 2011, mit dem Abzug des Groß der ausländischen Truppen, machte der Westen das Eingeständnis, dass er diesen Krieg nicht militärisch gewinnen kann. Der Rückhalt für die Taliban in der Bevölkerung aber auch die Unterstützung durch Nachbarstaaten wie Pakistan war zu groß. Die militärische Last dann der Regierungsarmee auf die Schulter zu laden, war absehbar zum Scheitern verurteilt, wie die zahllosen Deserteure und Überläufer von Beginn an signalisierten. Nun tun die Politiker der meisten deutschen Parteien so, als käme das Desaster völlg überraschend. Das ist entweder verlogen oder zeugt von erschreckender Gleichgültigkeit gegenüber dem, was sich in den 20 Jahren in Afghanistan abgespielt hat.
Den Eliten ging es nie um die Menschenrechte der Afghan:innen. Es ging um strategische Interessen am Hindukusch. Doch viele Menschen, sicherlich auch die meisten Bundeswehrsoldaten, haben daran geglaubt. Diese sind für Machtinteressen missbraucht worden, einige Dutzend haben dies mit ihrem Leben bezahlt, tausende leiden bis an ihr Lebensende an psychischen Störungen. Die Hauptleittragenden sind jedoch die Menschen in Afghanistan, die 20 Jahre unter einem grausamen Krieg zu leiden hatten und die nun, soweit sie nicht auf Seiten der Taliban stehen, einem unsicheren Schcksal entgegensehen.
Gibt es eine Lehre aus all dem? Diese kann nur lauten, dass die Politik ihre militärische Machtpolitik beendet, die Aufrüstung für weitere Interventionskriege einstellt und stattdessen in Instrumente und Ressourcen ziviler Konfliktbearbeitung investiert. Damit hätte man den Menschen in Afghanistan helfen können, jetzt ist es dafür erstmal zu spät. Doch es gilt, neue Kriegseinsätze wie den in Afghanistan zu verhndern, solche wie in Mali zu beenden!
Noch Mitte März hatte der Bundestag das Mandat der Bundeswehr für den Einsatz in Afghanistan um ein weiteres Jahr verlängert. Doch nun stellen die USA die Verbündeten vor vollendete Tatsachen: Bis Mitte September ziehen die USA ihre Truppen ab, da bleibt auch der Bundeswehr nichts anderes übrig, als ebenfalls abzuziehen, bereits bis Mitte August. Damit endet nach fast 20 Jahren ein weiteres düsteres Kapitel deutscher Militärgeschichte. (Die Truppenabzüge wurde inzwischen vorgezogen)
In Afghanistan waren deutsche Soldaten zum ersten Mal nach dem II. Weltkrieg wieder kämpfend in einen Landkrieg verwickelt. Dass dabei 59 deutsche Soldaten starben, wird oft betont. Dass die Bundeswehr aber auch für den schlimmsten westlichen Angriff auf afghanische Zivilisten während des ganzen Krieges verantwortlich ist, wird meist verschwiegen: Am 4. 9. 2009 bombardierten US-Flugzeuge auf Befehl des deutschen Oberst Klein zwei Tanklaster bei Kundus, in deren Nähe sich zahlreiche Zivilisten aufhielten: 140 von ihnen starben. Wie viele Menschen in den 20 Jahren Krieg in Afghanistan insgesamt starben, ist nicht abschließend bekannt. Das „Afghan War Diary“ nennt allein für den Zeitraum von 2004 bis 2009 eine Zahl von über 24.000 getöteten Zivilisten und Kämpfern. Die IPPNW zählte 220,000 Tote zwischen 2001 und 2015.
Der Einsatz der Bundeswehr erfolgte in einem Gemisch aus großzügig interpretierten Mandaten der UNO (Stabilisierung der afghanischen Regierung) und Selbstmandatierungen der NATO. Ziel der USA und der NATO war die Etablierung einer ihnen genehmen Regierung und die Zurückdrängung der Taliban. Dass es dabei nach 9/11 vorrangig um die Verhinderung weiterer Terroraktionen ging, ist häufig bestritten worden. Ebenso fragwürdig ist das von der Bundeswehr für sich in Anspruch genommene Ziel, der afghanischen Bevölkerung mehr Demokratie zu bringen. Im Focus stand wohl immer die Tatsache, dass Afghanistan ein strategisch äußerst wichtiges Land zwischen Europa und Asien ist, in dem die USA und die NATO ihren Einfluss sichern wollten
Nach 20 Jahren bleibt die Erkenntnis, dass es den technisch und militärisch weit überlegenen NATO-Truppen nicht gelungen ist, die Taliban abschließend zu besiegen und das Land zu befrieden. Dies zeichnete sich jedoch schon frühzeitig ab. Bereits 2011 erschien den USA der Preis für diesen Krieg zu hoch und sie zogen sich aus der aktiven Kriegsführung zurück. Dies sollte die afghanische Armee übernehmen, für die der Westen militärische Hilfestellung leistete. Jetzt ist auch dieser Ansatz gescheitert.
Aus der Friedensbewegung und von den Hilfsorganisationen hat es immer wieder Vorschläge gegeben, den Konflikt frühzeitig zu beenden. In einem Reader der DFG-VK aus dem Jahre 2008 befindet sich u.a. die Stellungnahme von VENRO, einem Zusammenschluss deutscher Entwicklungshilfeorganisationen, die die sofortige Einstellung des Militäreinsatzes forderten, da er gescheitert sei. Stattdessen forderte VENRO die Stärkung der Zivilgesellschaft, den Rückgriff auf traditionelle Formen der Konfliktlösung in Afghanistan (Stammesräte (Jirgas) u.a.) und Hilfen für den Wiederaufbau des Landes. Zu diesem Zeitpunkt waren die Taliban geschwächt und weitgehend außer Landes getrieben, es hätte eine Chance für diesen Weg gegeben. Doch die Bundesregierung hörte nicht auf solche Stimmen, sondern folgte weiter vasallentreu den USA. Heute sind die Taliban wieder in weiten Teilen Afghanistans die bestimmende Kraft und es ist wahrscheinlich, dass sie nach Abzug der westlichen Truppen die Herrschaft in Afghanistan übernehmen werden.
„Deutschland wird am Hindukusch veteidigt“: Dieser Satz des deutschen Verteidigungsministers Peter Struck zu Beginn des Krieges hat sich als propagandistischer Trick und Lüge herausgestellt. Der Kriegseinsatz hat Terror in Deutschland nicht verhindert sondern mit dazu beigetragen, dass unser Land ins Visier von Attentätern geriet. Doch der Spruch hat ereicht, dass in der Öffentlichkeit nicht wirklich gefragt wurde, was die deutsche Verteidigungsarmee denn in Afghanistan zu suchen hat oder inzwischen in Mali. Und wenn die aktuelle Militärministerin Kramp-Karrenbauer deutsche Kriegsschiffe in den indischen Ozeam schickt, wird dies nur am Rande hinterfragt. Mit Afghanistan ist Deutschland wieder in den Kreis der kriegführenden Mächte zurückgekehrt. Aktuell streben interessierte Kreise quer durch verschiedene Parteien an, mit dem angeblichen von der NATO vorgegebenen 2%-Ziel Deutschland zum Land mit den höchsten Militärausgaben in Westeuropa zu machen. Da kann man den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan natürlich nicht als das kennzeichnen, was er von Anfang an war: Ein machtpolitisch motivierter Kriegseinsatz. Bezahlt haben dafür die toten Bundeswehrsoldaten und die Menschen in Afghanistan, die 20 Jahre Krieg erleiden mußten.
Medien:
„Die Leere nach dem Schuss“, Der Freitag, 24.04.2021
Neue Belege für westliche Kriegsverbrechen in Afghanistan überschatten Debatte um schnelleren Truppenabzug., Pressenza, 25.11.2020